Warum digitale Produkte failen

Kein einziges der erfolgreichsten digitalen Unternehmen der Welt kommt aus Deutschland. Unter den zehn umsatzstärksten Tech-Unternehmen der Welt ist nicht eines zumindest europäisch. Sie kommen alle aus den USA und Asien.

Der Erfolg im Analogen konnte bisher noch nicht ins Digitale übertragen werden.

Das Problem liegt in einem zentralen Unterschied des Denkens: Deutsche Unternehmen sind gut in Funktionen. Digitale Produkte brauchen aber Motivation.

Engagement ist das neue digitale Gold

Digitale Produkte müssen, anders als ihre analogen Pendants, ein ganz anderes Motivationsprofil besitzen, um ihre Nutzer anzusprechen.

Die Aufmerksamkeitsspanne der digitalen Kunden ist kurz. Menschen sind nicht bereit, Bedienungsanleitungen zu lesen, sich mit uninspirierten Interfaces auseinanderzusetzen oder lange auf eine Anmeldebestätigung zu warten.

Digitale Produkte müssen superleicht zu bedienen sein und superschnell auf Nutzereingaben reagieren. Soweit, so bekannt. Aber das ist nicht alles. Das ist nicht mehr als die bloße Grundvoraussetzung.

Doch viele Produkte scheitern bereits an dieser Basis. Und selbst dann, wenn digitale Apps und Plattformen leicht bedienbar und responsive sind, führt dies noch lange nicht zum Erfolg. Dafür ist die Konkurrenz zu groß.

Denn auch die Anforderungen der Zielgruppe haben sich verändert. Die Generation Z beispielsweise. Das sind all jene, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden und für viele Unternehmen die margenträchtigste Zielgruppe sind oder zumindest in den kommenden Jahren werden.

Die meisten von ihnen sind eher bereit, Geld für ein Erlebnis auszugeben, als für ein konkretes Produkt zu bezahlen. Eine gute Customer Experience ist deutlich wichtiger, als die bloßen Produkteigenschaften (Studie).

Das ist so wichtig, aber auch so unbekannt, dass ich es gleich noch einmal wiederholen möchte.

Die Customer Experience ist wichtiger als die Produkteigenschaften.

Das trifft allerdings nicht nur auf die junge Generation zu. Laut einer weiteren Studie wird gar flächendeckend bereits im Jahr 2020 die Customer Experience einen größeren Einfluss auf die Kaufentscheidung haben, als Produkteigenschaften und Preis.

Menschen wollen emotionale Bedürfnisse befriedigen

Im Grunde ist dies nur die logische Entwicklung einer Erkenntnis, die bereits viele Jahre alt ist. Dachte man früher, dass Menschen auf bestimmte Reize immer gleich reagieren, weiß man heute, dass Gefühle wie Befriedigung, Aufregung oder Entspannung von Nutzern bewusst gesucht und ausgewählt werden.

Der so genannten Uses-And-Gratification-Approach unterstellt, dass Menschen ein Erlebnis nach seinem emotionalen Wert auswählen. Das gilt für Unterhaltungsangebote (basierend auf meiner aktuellen Gemütslage: Schaue ich mir lieber eine Komödie oder einen Actionfilm an?), aber auch für funktionale Produkte gleichermaßen.

Und überhaupt, die Idee, dass Unterhaltung und Information, Spaß und Nutzen voneinander getrennte Dinge seien, ist längst überholt. Und das schon seit Jahren.

Dachte man früher noch, dass Menschen sich entweder unterhalten oder informieren wollen, weiß man heute: Beide Dinge sind fast nie voneinander zu treffen.

Wenn ich mich auf einem Onlineshop umsehe, und dabei darüber nachdenke, ob ich mir dieses eine Produkt vielleicht kaufen sollte – informiere ich mich dann über das Produkt, oder unterhalte ich mich?

Und wenn ich auf LinkedIn Zeit verbringe: Tue ich das aus reinem Nutzungsdenken heraus, oder habe ich auch Spaß dabei?

Meistens beides. Funktionale Produkte, die kein Spaßempfinden verursachen, und das menschliche Bedürfnis nach Unterhaltung, Zufriedenheit und Spannung nicht befriedigen, haben heute einfach keine Chance mehr.

Umso erstaunlicher ist es dann doch, dass so viele digitale Produkte völlig spaßfrei daherkommen.

Die traurige Realität der digitalen Produktentwicklung

Benutzerfreundlichkeit und Schnelligkeit sind absolute Grundvoraussetzungen für den Erfolg digitaler Produkte. Noch wichtiger ist aber die Customer Experience.

Customer Experience ist viel mehr als einfach nur ein aufgeräumtes Interface. Die Customer Experience muss den Nutzer motivieren, mit dem Produkt zu interagieren. Schafft sie das nicht, können noch so viele Funktionen vorhanden sein – benutzen wird sie niemand.

Viele Produktmanager machen dabei den Fehler, anzunehmen, dass die bloße Anwesenheit einer Funktion auch in dessen Nutzung resultiert. Menschen sind aber keine Roboter, die automatisch etwas tun, nur weil es möglich ist.

Menschen sind motivationale Wesen. Nur dann, wenn wir motiviert sind, etwas zu tun, machen wir es auch. Das sollte man eigentlich niemandem erzählen müssen. Die Erkenntnis, dass dies auch für digitale Produkte und Apps gilt, ist allerdings, besonders in Deutschland, nicht sehr weiter verbreitet.

Insbesondere bei großen Unternehmen mit vielen Entscheidern wird dabei viel Geld in die Entwicklung digitaler Produkte investiert, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

Drei Probleme sind dabei besonders oft anzutreffen

  1. Fokussierung auf Funktionen: Digitale Produkte werden funktional, aber nicht motivational betrachtet. In der Folge liegt das Augenmerk darauf, welche Funktionen ein digitales Produkt besitzen sollte, nicht aber, ob Menschen auch motiviert sind, diese Funktionen zu benutzen. Da werden dann viele Meetings gehalten, digitale Labs aus dem Boden gestampft, kleine MVPs gebaut – alles auf funktionaler Ebene. Im Vordergrund steht, ob es technisch funktioniert. Nicht, ob es auch motivational klappt. Die Quittung kommt dann später: Das Produkt wird gelauncht, die Nutzungsrate ist niedrig. Hauptsache, was gemacht.
  2. Die Ich-Perspektive: Digitale Produkte drehen sich oft um die Frage, was für das Unternehmen gut ist. Der Kunde wird dabei größtenteils ignoriert. Natürlich sollten die digitalen Produkte die Businessziele der Unternehmen unterstützen, sie müssen aber in erster Linie einen Mehrwert für den Nutzer schaffen. Tun sie das nicht, werden sie auch nicht benutzt.
  3. Zu viele Köche verderben den Brei: Häufig gibt es zu viele Leute, die ein Mitspracherecht besitzen, aber zu wenige, die die gesamte Experience im Blick haben. Die Rechtsabteilung möchte noch zwei Texte in die Anmeldung quetschen. Die Marketingabteilung möchte eine Umfrage in die App integrieren. Und überhaupt, eine Funktion zum Teilen auf Facebook wäre bestimmt auch nicht schlecht.

Das Ergebnis ist ein digitaler Flickenteppich. Eine bloße Aneinanderreihung von Funktionen. Das ist der Grund, warum so viele digitale Produkte scheitern.

Wer seine Kunden nicht unterhält, stirbt

Es wird zu oft zu sehr auf der Funktionsebene gedacht. Das ist in etwa so, als würde man einen Film drehen, sich aber nur auf die Bilder und Einstellungen fokussieren, und außer Acht lassen, dass der Film auch eine Story braucht. Einen Anfang, einen Mittelpunkt, und ein Ende. Das Ende kann einen Cliffhanger besitzen, sodass die Zuschauer auch den nächsten Film sehen möchten. Eine Geschichte, welche die Menschen motivational bindet, muss aber jeder Film besitzen.

Auch Dokumentationen beispielsweise, also solche Filme, die eher informativ statt unterhaltend sind, folgen einer klaren Storyline.

Für digitale Produkte gilt das gleiche. Einfach nur ein Sammelsurium von Funktionen, das funktioniert nicht. Menschen wollen nicht bloß intuitive und schnelle Services, sie müssen auch unterhalten werden. Keine Motivation, keine Nutzung.

Unterhaltung ist in diesem Kontext abstrakt gemeint. Natürlich sind digitale Produkte keine Filme. Aber die erfolgreichen digitalen Plattformen wie beispielsweise Amazon, LinkedIn, Uber, oder Netflix sind mehr, als bloße Funktionsansammlungen. Sie motivieren ihre Nutzer, Zeit mit ihnen zu verbringen.

Das alles lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: Digitales Engagement. In der analogen Welt wissen wir, dass es Produkte gibt, die unterhalten, und Produkte, die funktionieren. In der digitalen Welt verschwimmt diese Grenze.

Dort müssen Produkte nicht nur einen Mehrwert schaffen (funktionieren), sie müssen auch motivieren. Die Konkurrenz der digitalen Produkte ist so groß, dass eine App beispielsweise, die zwar gute Funktionen besitzt, aber ziemlich langweilig ist, sang- und klanglos untergeht.

Das Optimieren digitaler Produkte, sodass Menschen motiviert sind, damit zu interagieren, kann man lernen. Die Verhaltenswissenschaft hat hierfür spannende Erkenntnisse zutage gefördert, wie und warum Menschen bestimmte Entscheidungen treffen und motiviert werden können, etwas Bestimmtes zu tun.

Die erfolgreichsten digitalen Unternehmen nutzen dieses Wissen, um ihre Customer Experience so zu verbessern, dass ein starker Handlungsimpuls entsteht. Die meisten Unternehmen aber sind noch nicht so weit. Sie denken funktional, und bauen digitale Produkte, die motivationale Totalversager sind.

Zusammenfassung: Digitale Produkte sind mehr als bloß Funktionen

Erfolgreiche digitale Produkte haben einen entscheidenden Unterschied zu ihren weniger erfolgreichen Konkurrenten: Sie sind mehr als eine bloße Ansammlung von Funktionen. Sie sind darauf optimiert, von Menschen benutzt zu werden – und nicht von Robotern.

Verhaltensoptimierte Produkte performen überdurchschnittlich besser als ihre rein funktionalen Pendants. Digitale Nutzer wollen nicht nur Schnelligkeit und Benutzerfreundlichkeit, sie wollen außerdem ein Erlebnis.

Das Einkaufen auf Amazon ist ein Erlebnis. Das Stöbern nach neuer Musik auf Spotify ist ein Erlebnis. Das Nutzen der meisten digitale Produkte deutscher Unternehmen ist aber kein Erlebnis, sondern bloß eine Abfolge von Funktionalitäten.

Das Erlebnis der digitalen Produkte ist dabei überproportional wichtig und definitiv wichtiger, als die meisten Unternehmen bislang verstanden haben. Preis und Produkteigenschaften stehen erst an zweiter Stelle. Wenn Sie irgendetwas aus diesem Artikel mitnehmen, dann das: Ein digitales Produkt, das ein Erlebnis bietet, funktioniert auch mit mittelmäßiger Technik. Digitale Produkte müssen Motivationsmaschinen sein, keine Funktionsschleudern. Ein funktionales Produkt hingegen, das kein Erlebnis bietet, stirbt.

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