Die Motivation von Nutzern, einen digitalen Prozess vollständig zu durchlaufen oder ein digitales regelmäßig Produkt zu benutzen, ist für deren Erfolg elementar wichtig.
Viele Unternehmen veröffentlichen digitale Produkte, nur um festzustellen, dass sich kaum jemand damit auseinandersetzt.
Das Problem liegt meistens in der fehlenden Motivation der Nutzer begründet, damit zu interagieren. Nicht nur, dass viele Produkte ihre Kunden schon beim Onboarding verlieren. Oftmals gibt es auch zu wenige Gründe, immer und immer wieder zum Produkt zurückzukehren. Und das, obwohl von einem technischen Standpunkt aus betrachtet alles passt.
Nutzer sind aber keine Roboter – sondern Menschen. Digitale Produkte müssen nicht nur funktionieren, sie müssen auch motivieren.
In diesem Post stelle ich eine Mechanik vor, die genutzt werden kann, um die langfristige Motivation der Nutzer zu erhöhen.
[powerkit_toc title=“Das ist hier drin“ depth=“3″ min_count=“4″ min_characters=“1000″]Zwei Herangehensweisen für Motivation
Vor einigen Tagen habe ich mit einem der größten Automobilhersteller der Welt telefoniert. Sie hatten eine neue App gelauncht und mir das Design voller Stolz gezeigt.
Es sah klasse aus, keine Frage. Aber nur wenige Leute nutzten die App. Zwar wurde sie viele Tausend mal aus dem Appstore heruntergeladen, aber die wenigsten Nutzer schlossen die Anmeldung ab.
Noch schwerer wiegte aber ein anderes Problem: Von denjenigen, die den Anmeldeprozess durchgehalten hatten, kamen kaum welche zur App zurück. Es gab einfach keine Motivation, häufiger mit dem Produkt zu interagieren.
Obschon die App technisch einwandfrei funktionierte und wirklich super aussah, versagte sie an zwei zentralen Punkten: Den Nutzer während der Nutzung, aber auch nach der Nutzung zur (erneuten) Interaktion zu motivieren.
Motivation während der Nutzung
Die Optimierung der Nutzungsmotivation während der Nutzung ist essentiell wichtig. Häufig macht es Sinn, jeden einzelnen Screen und jeden Schritt, den Nutzer innerhalb einer Experience machen, zu analysieren und auf optimale Nutzungsmotivation zu optimieren.
Dies lässt sich an einem einfachen Beispiel festmachen.
Nehmen wir an, wir laden uns eine neue App aus dem Appstore herunter. Nach dem ersten Öffnen sollen wir ein Benutzerkonto anlegen. Das bedeutet: Email-Adresse eintragen, Passwort festlegen, Email-Adresse bestätigen, AGBs bestätigen und so weiter.
Von neuen Nutzern ist das ziemlich viel verlangt. Sie wissen ja noch gar nicht, ob die App überhaupt gut ist. Je besser die App darauf ausgerichtet ist, dass Nutzer motiviert sind, diesen Prozess auch abzuschließen, desto größer der Erfolg des Angebots.
Soweit, so gut. Die Optimierung der Nutzungsmotivation während der Nutzung macht also ziemlich viel Sinn und hat einen direkten Einfluss auf die Performance der App.
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn jetzt heißt es: Den Nutzer motivieren, auch am nächsten Tag die App erneut zu öffnen.
Motivation nach und vor der Nutzung
Im besten Fall schafft die App es, so viel Motivation zu erzeugen, dass Menschen auch am nächsten Tag – oder in der darauffolgenden Woche, je nach Zielsetzung – wieder zum Smartphone greifen und die App benutzen.
Denn völlig unabhängig davon, um was für ein digitales Produkt es sich handelt: Wenn Menschen es nicht benutzen, funktioniert es nicht.
Häufig wird aber genau das vergessen: Eine Strategie, die Einmalnutzer zu Mehrmalnutzern macht.
Es gibt viele Möglichkeiten, das Engagement über einen langen Zeitraum hinweg aufzubauen.
Eine davon kann man sich von Serien abschauen. Den Effekt kennen wir eigentlich alle: Der so genannte Cliffhanger.
Der Cliffhanger-Effekt
Serien müssen, anders als Filme, ihre Zuschauer über einen langen Zeitraum motivieren.
Dabei muss jede Folge dennoch wie ein einzelner, kleiner Film aufgebaut sein. Würde man den Spannungsbogen eines Films auf eine ganze Serie übertragen, wären die einzelnen Folgen zu undynamisch.
Also besitzt jede Folge ihren eigenen Spannungsbogen, der in einer Klimax gipfelt. Würde die Folge dann aufhören, kurz nachdem der Spannungsbogen seinen Höhepunkt erreicht und die Situation aufgelöst wurde, reduzierte sich in der Folge auch die Motivation: Die Geschichte ist zu Ende, die Neugierde, in welchem Finale die Story gipfelt, ist befriedigt.
Doch genau das soll ja vermieden werden. Zwar muss jede einzelne Folge befriedigend sein. Aber sie muss eben auch unbefriedigend sein – eben gerade so unbefriedigend, dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht.
Serien setzen Cliffhanger nach jeder Folge
Die einzelnen Folgen einer Serie machen daher folgendes: Kurz, bevor die Folge endet, wird ein neues Problem implementiert, ein neuer Spannungsbogen aufgebaut.
Zwar wird ein Handlungsstrang in jeder Folge abgeschlossen, um die Neugierde des Nutzers zu befrieden. Aber gleichzeitig wird auch ein weiterer Handlungsstrang eröffnet.
Im Storytelling sagt man daher auch: Wenn du ein Problem löst, musst du mindestens zwei weitere aufbauen. So hält man die Zuschauer bei der Stange.
Das kennen wir alle: Der so genannte Cliffhanger. In der Folge bleibt die Geschichte die ganze Zeit in unserem Kopf.
Wir denken darüber nach: Wie könnte es weitergehen? Was passiert als nächstes? Um unsere Neugier zu befriedigen, schauen wir die nächste Folge. Und die nächste. Und so weiter. Der Cliffhanger funktioniert erstaunlich gut.
Die gleiche Strategie lässt sich, in etwas abgewandelter Form, auch für digitale Produkte und Prozesse einsetzen.
Feature Sets für digitale Produkte
Bei digitalen Produkten und Prozessen macht es Sinn, in Feature Sets zu denken. Feature Sets sind das Äquivalent zu einem Spannungsbogen.
Ein Beispiel für ein solches Feature Set lässt sich bei Microsoft Rewards, dem Loyalitätsprogramm von Microsoft, finden.
Nutzer erhalten Punkte dafür, dass sie die BING-Suchmaschine benutzen oder virtuelle Quizzes absolvieren. Mit 100 Punkten können sie ein virtuelles Rubbellos kaufen. Das Rubbellos kann verschiedene Belohnungen enthalten. Oder auch gar nichts, wenn man eine Niete gezogen hat.
Das Feature Set bei Microsoft Rewards besteht also aus drei Elementen
Dieses Feature Set baut Neugierde auf. Nutzer fragen sich, was sie wohl durch das Rubbellos gewinnen können. Also sammeln sie Punkte, um das Los zu kaufen und einzulösen.
Durch das Einlösen wird die Neugierde befriedigt. Und sie können das Programm guten Gewissens wieder verlassen und brauchen nicht weiter darüber nachzudenken.
Aber genau dieses „Nicht mehr darüber nachdenken“ soll ja verhindert werden. An dieser Stelle muss der Cliffhanger implementiert werden.
Der Cliffhanger im Feature Set
Bei Microsoft Rewards erhält man als Belohnung für das Rubbellos häufig ein weiteres Los.
Dieses Los ist aber ein spezielles. Es gilt für ein weiteres Gewinnspiel, das einmal pro Monat ausgeführt wird. Das ist der Cliffhanger!
Dieses neue Los ist der Beginn eines weiteres Feature Sets, das erst zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen werden kann.
In der Folge denken Nutzer darüber nach: Werde ich gewinnen? Wie hoch sind meine Gewinnchancen? Kann ich diese noch weiter erhöhen?
Bevor Microsoft Rewards seine Kunden also aus der Experience entlässt, wird ein neues Feature Set aufgebaut, das die Neugierde des Nutzers entfesselt. Um zu sehen, ob er gewinnt, muss zu einem späteren Zeitpunkt wieder mit dem Programm interagiert werden.
Dieser Cliffhanger führt dazu, dass die Motivation auch über den Zeitraum der konkreten Nutzungssituation hinweg hoch bleibt. Der Kunde denkt über das Loyalitätsprogramm nach, auch wenn, wenn er gerade nicht damit interagiert.
Zusammenfassung
Gewinnspiele sind natürlich nicht die einzige Möglichkeit, um Cliffhanger zu erzeugen. Es gibt noch viele weitere, oftmals bessere Anwendungsbeispiele.
Die grundlegende Strategie ist aber immer die gleiche: Bevor eine Nutzungssituation abgeschlossen ist, sollte ein neues Feature Set implementiert werden, das der Nutzer erst beim nächsten Besuch abschließen kann.
Um eigene Variationen des Cliffhanger-Effekts zu entwickeln, ist es sinnvoll, die einzelnen Teilschritte, die der Nutzer im Rahmen einer Nutzungssituation absolviert, in Feature Sets zu denken.
Kurz bevor oder kurz nachdem ein solches Feature Set abgeschlossen wird, kann dann etwas Neues offeriert werden, das erst später abgeschlossen werden kann.
Besonders häufig wird der Cliffhanger in Mobile Games als eine beliebte Gamification Mechanik verwendet. Dort erhalten Spieler beispielsweise eine virtuelle Geschenkbox, die sich aber erst einige Stunden später öffnen lässt. Oder sie erreichen das nächste Level, das aber erst am nächsten Tag freigeschaltet wird.
In der Folge kommen die Spieler jeden Tag zurück – der Cliffhanger funktioniert auch hier außerordentlich gut.