Warum die Automobilindustrie mehr Digitales Engagement braucht

In der Automobilindustrie findet derzeit ein grundlegender Wandel statt: Von Hardware-Lieferanten zu Softwarekonzernen.

Die Automobilindustrie hat verstanden, dass ein Kampf um die digitale Kundenschnittstelle ausgebrochen ist, der nicht länger zwischen den einzelnen Herstellern, sondern zwischen der Industrie und zahllosen Angreifern aus dem digitalen Sektor ausgetragen wird: Uber, myTaxi, Google, Apple und Co.

Wenn die Automobilhersteller nicht zu dem werden wollen, das Foxconn für Apple ist, nämlich der Hardwarelieferant im Hintergrund, müssen sie die Kundenschnittstelle besetzen.

Damit das gelingt, müssen digitale Services und Plattformen aufgebaut werden, die Nutzer langfristig und nachhaltig binden. Das geht am besten durch Engagement. Lassen Sie mich erklären.

Digitales Engagement – was ist das überhaupt?

Menschen sind keine Roboter. Menschen haben Emotionen, Wünsche und Ängste. Darum verpacken wir Geschenke in buntes Papier, bevor wir sie weitergeben. Das macht den ‚Austausch der Güter‘ zwar nicht effizienter, aber eben motivierender.

Häufig sind Produkte und Prozesse in unserer Gesellschaft aber funktional und alleinig auf Effizienz getrimmt. In einer Fabrik mag das Sinn machen, weil dadurch in kürzerer Zeit mehr produziert werden kann.

Für digitale Produkte wie Apps und Plattformen ist das aber meistens kontraproduktiv. Bloß, weil eine Funktion vorhanden ist, bedeutet das noch lange nicht, dass Menschen auch motiviert sind, sie zu benutzen.

Niemand zwingt uns dazu, mit der digitalen App des Automobilherstellers zu interagieren und uns die neuen Services und Produkte anzuschauen, die darüber angeboten werden. Damit wir dies tun, müssen wir entsprechend motiviert werden.

Genau diese Motivation fehlt aber meistens.

Die Folge sind digitale Produkte, die zwar technisch gesehen funktionieren, aber kaum genutzt werden. Die Autohersteller kennen das. Ihre Apps sind technisch einwandfrei, nur die Nutzung fehlt.

Solche Produkte nenne ich function-focused. Sie konzentrieren sich auf die Funktionen, lassen aber außer Acht, dass Menschen motivationale Wesen sind. Keine Motivation, keine Nutzung. Viele Funktionen hin oder her.

Function-focused versus Human-focused

Solche digitalen Produkte allerdings, die berücksichtigen, dass Nutzer Menschen sind, lassen sich als human-focused beschreiben.

Human-Focused-Design unterstellt, dass Menschen Motivationen besitzen, und nicht automatisch eine Funktion benutzen, nur weil sie da ist.

Insbesondere auf Basis der Verhaltenswissenschaften entsteht ein immer besseres Bild des menschlichen Motivationssystems. Die Spieleindustrie etwa ist Vorreiter in der Adaption wissenschaftlicher Erkenntnisse, um ihre digitalen Produkte motivierend zu gestalten.

Beispiele für human-focused gibt es viele – oftmals merken wir gar nicht bewusst, dass Funktion mit Motivation kombiniert wird, um uns zum Handeln zu bewegen.

Hier sind zwei Beispiele, die dies verdeutlichen.

Beispiel 1: LinkedIn

Auch auf LinkedIn begegnet uns ein human-focused-Ansatz täglich. Letztlich hat LinkedIns Strategie, die menschlichen Motivationen bewusst anzutriggern, zu seiner heutigen Vormachtstellung geführt.

Ein Beispiel ist die Fortschrittsanzeige, welche uns motiviert, unsere Profile vollständig auszufüllen. Menschen haben einen inneren Drang, Fortschritt zu erzielen. Niemand möchte nur ein ‘mittelmäßiges’ Profil besitzen – also füllen wir weitere Felder aus, damit uns die Fortschrittsanzeige mit einem leuchtenden, vollen Balken belohnt.

Oder das direkte Feedback in Form von Views und Likes, das uns ansport, immer mehr und immer bessere Inhalte zu veröffentlichen. Ohne diese Feedback-Mechanik wäre das Posten nicht längst so motivierend. Oder das Endorsement-Game, welches die Interaktion der Mitglieder untereinander steigert.

All dies sind Beispiel für auf Menschen ausgerichtete Funktionen.

Beispiel 2: Amazon

Wer auf Amazon einkauft, wird sicher schon die „Andere Kunden kauften auch…“-Sektion bemerkt haben. Was andere kauften, kann so schlecht ja nicht sein! Also kaufen wir auch.

Diese Sektion ist für einen großen Teil von Amazons Umsatz zuständig. Der Effekt, den Amazon nutzt, nennt sich Social Proof. Er triggert unser Motivationssystem effektiv an, und löst einen Handlungsimpuls aus.

Würde Amazon uns bloß ‘ähnliche Artikel’ empfehlen, besäßen diese viel weniger Strahlkraft. Sobald wir unser Handeln aber an dem von anderen Menschen ausrichten können, entsteht Motivation. Letztlich sind Menschen soziale Wesen, und der innere Drang, das zu tun, was auch andere machen, ist eine evolutionspsychologisch gewachsene Eigenschaft unseres Gehirns.

Zum Aufbau einer Kundenschnittstelle braucht es digitales Engagement

Die Art und Weise, wie Produkte der Automobilindustrie an den Kunden distribuiert werden, hat sich grundlegend verändert.

Früher war die Kette einfach. Der Partnerhändler hielt alle Fäden der Kundenschnittstelle in der Hand, und Kunden waren bereit, den Händler aufzusuchen, um sich ein neues Auto zu kaufen.

Heute ist das anders. Nicht nur, weil immer weniger Menschen Autos kaufen, und immer mehr Menschen Mobilitätsangebote nutzen wollen. Sondern auch, weil Kunden jetzt digital sich informieren und kaufen wollen. Das Konzept Händler funktioniert nicht mehr.

Es braucht also digitale Produkte wie Apps und Plattformen, die Kunden digital binden. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Weil Mobilitätsangebote eben, nicht wie der Autokauf bloß singulär, sondern multipel in Anspruch genommen werden.

Mit funktionalen, emotionslosen Produkten geht das nicht. Kunden wollen ein digitales Erlebnis haben – wie auf LinkedIn oder Amazon.

Die Automobilindustrie muss lernen, digitale Produkte zu bauen, die human-focused sind, wenn sie die Anzahl, Interaktionsfrequenz und -intensität ihrer Nutzer steigern will.

Wie integriert man Motivation in seine digitalen Produkte?

Die gute Nachricht ist: Digitale Produkte lassen sich systematisch motivational optimieren, um einen starken Handlungsimpuls zu erzeugen.

Die Manager und Projektleiter der digitalen Apps und Plattformen der Automobilindustrie sollten sich darüber Gedanken machen, wie sie ihre Kunden nicht nur akquirieren, sondern auch motivieren und langfristig halten können.

Hierzu ist es sinnvoll, jede Experience in vier Phasen einzuteilen – eine Herangehensweise, die wir bei der Octalysis Group für jedes Projekt anwenden und uns, neben einigen anderen Modellen, zum internationalen Marktführer gemacht hat.

  • Phase 1: Discovery: Wie erfahren Nutzer, dass es das Produkt gibt?
  • Phase 2: Onboarding: Wie muss die allererste Nutzung des Produkts gestaltet sein, dass Nutzer auch am nächsten Tag wiederkommen?
  • Phase 3: Scaffolding: Wie können Nutzer motiviert werden, immer und immer wieder zum Angebot zurückzukommen?
  • Phase 4: Endgame: Wie kann man seine Powernutzer motivieren, langfristig dabei zu bleiben?

Die Apps und Plattformen der Automobilindustrie berücksichtigen noch viel zu oft keine einzige dieser Phasen. Stattdessen finden Nutzer eine immergleiche Experience vor, die funktional und langweilig ist. In der Folge verlieren sie schnell wieder das Interesse.

Gute Ansätze gibt es bereits

Die zweite gute Nachricht ist: Die Automobilindustrie beginnt, das Thema Engagement und Motivation stärker in den Blick zu rücken, um bessere und vor allem erfolgreichere Kundenschnittstellen aufzubauen.

Die Volkswagen AG beispielsweise hat mit unserer Hilfe ein Loyalitätsprogramm entwickelt, das Nutzer anreizt, mehrmals pro Woche mit dem Programm zu interagieren. Kunden werden motivierend an die Experience herangeführt, schalten stetig neue Inhalte frei, werden Teil einer Community und entwickeln rasch eine Gewohnheit, die App zu nutzen: Eine perfekte Basis, um weitere Services darüber anzubieten.

Insgesamt betrachtet gibt es aber noch viel zu tun. Die Automobilindustrie muss sich hierbei von dem Dogma lösen, dass Spaß und Arbeit, dass Motivation und Funktion voneinander getrennte Dinge sind.

Die Startups und Softwareunternehmen dieser Welt, welche aktuell um die Kundenschnittstelle der Mobilität buhlen, haben das bereits viel besser verstanden, und wirken deshalb so bedrohlich. Wenn die Automobilindustrie es schafft, nicht nur technisch gute Apps und Plattformen zu entwickeln, sondern diese auch auf die menschlichen Motivationen auszurichten, ist sie ihrem Ziel, die Kundenschnittstelle zu behaupten, schon einen großen Schritt nähergekommen.

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